Interview mit Anne Chebu

am 24. April 2020

Anne Chebu ist eine Journalistin, Fernsehmoderatorin und Buchautorin. Ursprünglich hatten wir sie zur Themenwoche eingeladen, um einen Vortrag über Alltagsrassismus zu halten. Dieser wurde jetzt auf das kommende Semester verschoben. Anne Chebu hat sich jedoch bereit erklärt in einem Interview ein paar Fragen zu ihrem Buch, „Anleitung zum Schwarzsein“ (2014) und zum Thema Rassismus zu beantworten. Viel Spaß beim Lesen!

Foto: Tanja Kibogo


Aber man muss in unserer Gesellschaft dazu kommen, dass nicht die böse sind, die den Rassismus ansprechen, sondern die, die ihn aussprechen.

Wie kam der Titel „Anleitung zum Schwarzsein“ zustande?

Der Titel ist mit einem Augenzwinkern gemeint. Ich habe eigentlich an die Reihe „Informatik/ Yoga/… für Dummies“ gedacht, das ging aber aus rechtlichen Gründen nicht. Der Verlag hat dann den Titel „Anleitung zum Schwarzsein“ vorgeschlagen. Ich finde der passt gut. Klar, das sage ich auch bei Vorträgen und Lesungen immer, es gibt natürlich nicht DIE richtige Schwarze* Person und dadurch kann es auch keine Anleitung dafür geben. Jede Person kann das natürlich individuell entscheiden. Ich versuche mit meinem Buch, den Leuten einen Leitfaden an die Hand zu geben.

Auf den Treffen der ISD – Initiative Schwarze Menschen* in Deutschland – ist mir aufgefallen, dass dort auch Menschen neu dazu kommen, die sich zuvor noch nicht bewusst mit ihrem Schwarzsein, Rassismus und Alltagsrassismus beschäftigt haben.

Mit meinem Buch wollte ich versuchen, alle auf einen Wissensstand zu bringen.

*Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle‚ Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen 'ethnischen Gruppe' zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.
(https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache)

Ist das Buch also primär für Schwarze geschrieben?

Ja, tatsächlich. Beim Schreiben habe ich mir ein junges afrodeutsches Mädchen im ländlichen Raum vorgestellt, das keine Schwarzen Bezugspersonen außerhalb der eigenen Familie hat oder vielleicht noch nicht mal da. Ich habe viele solcher Menschen im Laufe meines Lebens kennengelernt. Und ich habe viele kennengelernt, die Schwierigkeiten hatten, ein gesundes Schwarzes Selbstbild zu entwickeln. Einfach weil sie keine Schwarzen Bezugspersonen oder identitätsstiftende Schwarze Menschen um sich hatten.

Wenn du sagst, du hast dir ein Schwarzes Mädchen beim Schreiben deines Buches vorgestellt, hast du es also auch aus deiner persönlichen Erfahrung herausgeschrieben? – Welche Erfahrungen hast du mit Rassismus gemacht?

Das Buch ist nicht meine Lebensgeschichte. Eher ein Sachbuch mit Interviews, Zitaten und recherchierter Literatur.

Ja, ich mache als Schwarze Person Rassismuserfahrungen. Aber ich bin auch relativ privilegiert aufgewachsen. Deutsch ist meine Muttersprache, ich hatte Support aus meinem Elternhaus und bin mit dem Schwarzen Elternteil aufgewachsen. Als Kind habe ich andere Schwarze Kinder getroffen. Da bin ich schon sehr privilegiert im Vergleich zu anderen, die weniger „Glück hatten“. Ich hatte eine sehr harmonische, konfliktfreie Kindheit. Es gab schon kleinere rassistische Vorfälle mit Schüler*innen und Lehrkräften, aber das hielt sich sehr gering. Ich kenne ganz andere Geschichten aus genau der gleichen Stadt, die sich nur ein paar Kilometer entfernt in einer anderen Schule zugetragen haben – zur gleichen Zeit, der gleiche Jahrgang, nur eine andere Schule, wo Kindheit und Schulzeit dann der Horror waren. Bis heute kenne ich etliche Fälle auch aus Großstädten, wo Rassismus stattfindet und wo Kinder wirklich gequält werden. Das hat nur damit zu tun, wie viel Glück oder Pech man hat – ob man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist oder anders herum. Ob man die falsche Person trifft. Aber das zeigt eben auch das Problem: Eigentlich darf das Leben einer Schwarzen Person ja nicht davon abhängen, wie viel Glück oder Pech man hat. Das ist ein Problem in unserer Gesellschaft.

Wie würdest du einer weißen Person Schwarzsein erklären?

Das würde ich eigentlich gar nicht erklären, dafür sehe ich keinen Grund. Weiße Personen sollten sich primär mit ihrem Weißsein und den Privilegien, die damit einhergehen auseinandersetzen. Es gibt Privilegien, die vom Tag der Geburt an existieren. Es gibt Zahlen aus den USA über höhere Sterblichkeitsraten von Schwarzen Schwangeren bei der Geburt, weil sie als Patientinnen weniger ernst genommen werden oder sich Ärzt*innen weniger engagieren. Privilegien, die man als Weißer Mensch als Norm ansieht. Auch in den Medien zeigt sich, dass Weiße Menschen als Norm gelten, das Nonplusultra. Schwarze Menschen kommen kaum vor und wenn, dann mit negativem Background. Tendenziell spielen sie in Filmen eher die Kriminellen, aber bekommen selten positiv besetzte Rollen. Oder sie bekommen nur Nebenrollen.

Es ist sehr schwierig, aber wünschenswert, dass man Schwarzsein auch losgelöst von rassistischen Erfahrungen sehen kann. Aber das fällt mir schwer. Es sitzt tagtäglich in jeder Pore der Gesellschaft und überlagert sehr viel. Ich habe das Gefühl, dass auch positive Assoziationen, z.B. das starke Zusammengehörigkeitsgefühl, das Community-Gefühl in einer Schwarzen Gemeinschaft auch dadurch so stark ist, dass die Außenwelt ablehnend ist und die Community als Zuflucht gebraucht wird.

Was entgegnest du, wenn Menschen sagen „ich sehe keine Hautfarbe" oder „ich behandle alle gleich“?

Das hört man häufig, genauso wie: „Egal ob schwarz, weiß, rot, grün oder mit Punkten“. Das ist einfach nur ignorant meiner Meinung nach. Ich verstehe schon, was die Person damit ausdrücken möchte, dass alle gleichberechtigt sind. Aber das ist ja nicht so. Indem man das unsichtbar macht, verschließt man die Augen vor den Problemen. In Deutschland ist es nochmal anders als in den USA. Schwarzsein bedeutet da auch, dass man eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, arm zu sein.

In Deutschland ist das nicht so krass. Die Gesellschaft ist viel „durchmischter“, auch wenn ich das Wort nicht mag. Aber sehr oft ist die Trennung dann trotzdem da, im Hintergrund, wird aber vergessen.

Auch in Deutschland ist es so, dass ein Schwarzes Kind von Tag eins an anders behandelt, anders einkategorisiert wird als ein weißes Kind. Das erlebe ich täglich bei Freunden und Freundinnen, die Eltern sind: Wenn ein Schwarzes Kind aktiv und selbstbewusst ist, bekommt es sofort das Label, es sei wild. Man wird von vornherein direkt beurteilt. Es gibt mehr Stereotype und wenig Möglichkeit, auszubrechen. Der rassistische Kontext, der mit reinspielt, wird oft nicht gesehen. Man ist auch in alltäglichen Situationen ständig in Hab-Acht-Stellung, das saugt viel Energie und ist der Alltag von Schwarzen Menschen. Und wenn hier von der gleichen Ausgangsposition ausgegangen wird, kann das eigentlich nicht funktionieren.

Wie gefährlich sind „positive“ Vorurteile/Stereotype für junge Schwarze Menschen, etwa dass sie gut tanzen können?

Das nennt man dann positiven Rassismus und letztendlich ist es, wie es schon heißt: Rassismus. Es sind zwar schöne Attribute oder Klischees: Gut tanzen oder schön singen können, sportlich sein. Aber es führt auch dazu, dass man in irgendeine Schublade gesteckt wird, ohne selbst zu entscheiden, ob man das wirklich mag. Und das kann dazu führen, dass ein gewisser Druck entsteht: Ich muss jetzt gut rennen, Basketball spielen, singen können, weil ich ja Schwarz bin. Eventuell kann man die eigenen Vorlieben weniger gut entdecken, hat weniger Möglichkeit, sich einfach auszuprobieren, weil man Erwartungen gerecht werden will. Die Aussage „von Natur aus liegt Schwarzen der Rhythmus im Blut“ ist super rassistisch, das ist Rassenideologie – die Vorstellung, es gäbe verschiedene Rassen. Als wäre es wie bei Tieren – dieses kann gut klettern und dieses kann gut fliegen, einfach von Natur aus. Aber bei Menschen ist das nicht so. Ja, es gibt gewisse kulturelle, traditionelle Dinge, die weitergegeben werden, aber die gibt es bei weißen Menschen ja auch.

Du hast in einem Artikel mal gesagt, dass du dich bei einem Besuch der ISD wirklich zu Hause gefühlt hast. Wie wichtig ist der Austausch mit anderen Schwarzen Menschen/ Räume für Schwarze Menschen für dich (gewesen) und wie wichtig ist es für junge Schwar

Sehr wichtig! Man erfährt in der weißen Gesellschaft oft Ablehnung, Unverständnis oder Gewalt. Und da hilft es sehr, wenn man Menschen trifft, die den gleichen Erfahrungsschatz haben. Dadurch erkennt man, dass es kein individuelles Problem ist, sondern Struktur und Machtmechanismen dahinterstecken. Da merkt man dann: Es ist also nicht nur mir so ergangen, sondern auch noch Zigtausend anderen.

Willst du uns deine Inspirationen verraten, die dir beim Schwarzsein geholfen haben? Identität als Schwarze Person zu finden? Gibt es eine Person, die dir dabei geholfen hat?

Das ist schwierig. Meine Mutter hat da sicher eine große Rolle gespielt. Weil sie Wert darauf gelegt hat, dass ich andere Schwarze Kinder kennengelernt habe, dass positive Begrifflichkeiten verwendet wurden – afrodeutsch und Schwarz waren gang und gäbe. Ich kenne Familien, die ihre Kinder mit dem N-Wort betitelt haben und andere schlimme Begriffe gegenüber ihren Kindern verwendet haben. Meine Familie hat mich stark gemacht, mir ein positives Gefühl und Selbstbild vermittelt. Das Thema Haare zum Beispiel war nie ein schlimmes Thema. Meine Mutter hat das super gemacht mit meinen Haaren. In manchen Familien wurde und wird vermittelt: Deine Haare sind so schlimm.
Ansonsten haben unterschiedlichste Menschen eine Rolle gespielt. Es ist schwierig, da nur eine zu nennen. Die Person, die mich zu ISD gebracht hat, eine Arbeitskollegin im Praktikum. Ihr verdanke ich sehr viel dadurch. Innerhalb der ISD, schöne Momente, einzelne wichtige Sätze. Und ich hatte auch sehr prägende Momente mit NS-Zeitzeugen. Theodor Wonja Michael, der leider gestorben ist im Oktober. Das war eine schöne Bekanntschaft oder Freundschaft, wenn man es so nennen darf.

Oder Marie Nejar, die in Hamburg lebt – auch eine NS-Zeitzeugin. Das ist halt schön, weil sie mir eine Art Großelternrolle geben bzw. geben konnten, weil ich das leider nicht hatte – Schwarze Großeltern. Und es ist sehr wertvoll, so unterschiedliche Generationen zu kennen. Das ist auch das Besondere an der ISD, man trifft Leute aus ganz verschiedenen Altersgruppen, ältere wie jüngere. So entsteht ein sehr vielfältiger Bekanntenkreis. Normalerweise besteht der ja eher aus Gleichaltrigen. Finde ich sehr schön, dass man da mit 80-Jährigen und mit 13-Jährigen befreundet ist oder Kontakt hat.

Ich habe immer wieder mit Menschen eine Diskussion zum Thema "Rassismus gegenüber Weißen". Meiner Meinung nach gibt es das nicht, zumindest nicht in unserer momentanen Welt. Oft fehlen mir jedoch leider die Argumente, die mein Gegenüber überzeugen könnten

Ich habe keine Lust mit weißen Menschen über irgendwas zu diskutieren. Wenn die Leute ihre Augen vor ihren eigenen Privilegien verschließen, bringt das nichts.
Aber in Kurzform: Hinter Rassismus steckt ein jahrhundertealtes Problem, das durch den Kolonialismus entstanden ist. Diese Zeit können wir nicht rückgängig machen. Viele Themen in Europa basieren immer noch auf dieser Ausbeutung von damals und von heute. Das ist der Kern. Reiche Familien, große Firmen – so viele, die durch die Kolonialzeit Profit gemacht haben, den sie vererben, aus dem sie weiterwachsen konnten. Das ganze System dahinter wie Medien, Schulbücher Dinge wiedergeben, dieses komplette eurozentrische Denken, das es auf der ganzen Welt gibt. Überall ist das Schönheitsideal: je heller die Haut, die Augen, die Haare, desto besser. Alle eifern diesem Ideal nach. Lauter Argumente, bei denen man feststellt, dass umgekehrter Rassismus nicht wahr ist. Damit zu argumentieren zeigt eher, dass Menschen, die das sagen, sich ihren Privilegien nicht bewusst sind und es als Bedrohung wahrnehmen, wenn man versucht, ein paar dieser Privilegien ebenfalls zu bekommen. Weil sie fürchten, dass sie etwas von ihrem großen Kuchen abgeben müssen.

Was würdest du weißen Menschen raten, wenn sie rassistische Situationen beobachten und gerne eingreifen möchten? Einzugreifen kann ja auch eine Art von Bevormundung sein.

Das ist sehr stark abhängig davon, was genau passiert und welche Personen beteiligt sind. Prinzipiell finde ich es wichtig, was zu sagen!

Es gibt verschiedene Strategien, abhängig von der Situation. Bei handgreiflicher oder verbaler Gewalt, zum Beispiel im Nahverkehr, wäre das, erst einmal das Opfer zu schützen, zu fragen: „Was brauchst du?“

Übrigens habe ich in der letzten Woche, in der die Clubs vor Corona noch offen waren, eine solche Situation erlebt. Da wurde ein Schwarzer Mann von mehreren weißen Männern bedrängt. Ich habe gemerkt, dass er sich unwohl gefühlt hat, er hat sich immer hinter seinen Weißen Freund gestellt, und die anderen sind immer um den rum, wieder zu ihm. Der Weiße Freund wusste auch nicht, was er machen soll. Dann bin ich hin und habe den Schwarzen Jungen gefragt: „Kennst du die?“ und habe mich neben ihn gestellt. Und dann sind sie weggegangen – einfach nur, weil ich mich daneben gestellt habe. Das hat mir gezeigt, wie viel das schon bringen kann in der Öffentlichkeit, wenn man sich einfach neben das Opfer stellt und den Täter ignoriert. Damit hat man ja auch schon oft positive Erfahrungen machen können.

In anderen Situationen, zum Beispiel wenn ein Professor an der Uni das N-Wort benutzt, ist es auch definitiv wichtig, etwas zu sagen. Und nicht die Bürde einfach auf der Schwarzen Person zu lassen, dass sie in einem Saal mit 100 Studierenden etwas dagegen sagen muss. Auch, wenn die Person sich selbst wehrt, auf jeden Fall unterstützen.

Klar gibt es Situationen, vielleicht gerade in Beziehungen oder im engeren Freundeskreis, da kann es auch mal nach hinten losgehen, wenn man etwas sagt. Zum Beispiel beim Verwandtschaftsbesuch, jemand sagt etwas und die Schwarze Person würde das einfach gern ignorieren, weil sie keinen Bock hat auf eine Diskussion. Aber in den meisten Fällen sollte man schon etwas sagen. Und wenn man nicht weiß was – oft reicht schon ein „Stop, nein, ich will das nicht hören.“

Ich habe mal eine Veranstaltung moderiert, in der die Kabarettistin das N-Wort gesagt hat. Ich bin aufgestanden und laut stampfend aus dem Raum gegangen. Ein paar sind auch aufgestanden und raus gegangen – vielleicht 5 Prozent. 5 Prozent fanden es witzig und 90 Prozent haben nichts gemacht – das fand ich das allerschlimmste. Der Großteil der Menschen macht gar nichts. Deshalb ist es so wichtig, dass viele Aufstehen und Nein sagen. Die große Masse schaut nur auf die anderen und geht dann auch mit. Viele machen gar nichts, das ist das Problem. Und dann sieht es von außen so aus, als wären sie konform. Sie wollen nicht anecken, wollen Harmonie. Aber man muss in unserer Gesellschaft dazu kommen, dass nicht die böse sind, die den Rassismus ansprechen, sondern die, die ihn aussprechen. Noch sind die „Troublemaker“ die, die Stopp sagen. Und ihnen wird gesagt: Was du gesagt hast, macht die Stimmung schlecht. Nein! Die Stimmung ist schlecht, weil etwas Rassistisches gesagt wurde!

Das finde ich voll den coolen Satz, vielleicht können wir den im Layout wie auch immer hervorheben

Welchen Einfluss hat Corona auf den Rassismus in Deutschland?

Das eine ist auf jeden Fall der Rassismus gegen asiatisch aussehende Menschen. Inzwischen hat das glaube ich wieder etwas nachgelassen, ich weiß es nicht genau. Aber am Anfang war es schlimm. Ich habe von Berichten gehört, dass die Mutter einer Bekannten von Jugendlichen auf der Straße angegangen wurde. Das sind die schlimmen Situationen, offensichtlicher Rassismus.

Aber es gibt auch den nicht offensichtlichen Rassismus, der sehr viel mit Privilegien zu tun hat. Wenn sprachliche Barrieren bestehen, bezogen nicht nur auf Rassismus, sondern auch auf allgemeine Diskriminierung. Es gibt Menschen, die leicht geschriebene Texte besser verstehen können und für Gehörlose wird es schwierig mit Maske – da werden einfach viele Menschen vergessen. Oder Homeschooling, das sehr schwer machbar ist für Eltern, die arbeiten, nicht gut Deutsch sprechen oder keinen höheren Bildungsabschluss haben. Wobei ich auch eine Freundin mit Doktortitel habe, ihre Tochter ist auf dem Gymnasium und sie sagt, sie kann ihr beim besten Willen nicht helfen. Und wenn man dann an Leute denkt, die nicht in Deutschland auf der Schule waren oder die Sprache nicht so gut sprechen – wie sollen die da helfen.

Hinzu kommt Rassismus im Medizinwesen, da spielt auch wieder eine Rolle, dass viele Medikamente auf weiße Männer getestet werden, nicht auf Schwarze und nicht auf Frauen. Das gilt allgemein, tritt aber jetzt verstärkt hervor.

Es wurde festgestellt, dass in den USA viele Afroamerikaner*innen an Corona erkranken und sterben. Erstmal ein Thema der Klasse, aber auch aufgrund von Rassismus – weil der Bildungsweg versperrt war, keine Karriere möglich, schlechtere berufliche Chancen von vornherein. Es sind so viele Faktoren, die dazu führen. Armut, schlechte Ernährung, Vorerkrankungen. Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, haben oft eine Einwanderungsgeschichte. Sie haben weniger Schutzmöglichkeiten, zum Beispiel bei der Arbeit als Paketzusteller*innen. Oft ist es eine Mischung aus verschiedenen Sachen – häufig eine Klassenfrage aber sehr oft fehlende Zugänge, die aufgrund rassistischer Klischees verschlossen geblieben sind.

Zudem sind viele Themen, die nach dem Anschlag von Hanau größer wurden, jetzt nicht mehr im Fokus der Medien. Ich wohne in Frankfurt, Hanau ist die Nachbarstadt und ich bin tief erschüttert. Das war so schrecklich, alle waren geschockt. Aber bevor man handeln und aktiv werden konnte, kam Corona und jetzt kann man nichts machen. Zuhause sitzen und Kampagnen machen noch. Aber viele sind finanziell im Überlebenskampf und das führt dazu, dass man erstmal nach Miete und Essen schauen muss, erstmal ist das die primäre Sorge. Da bleibt keine Energie oder Lust, sich damit zu befassen.

Du schreibst ja gerade an deinem zweiten Buch „Anleitung zum Schwarzbleiben“, worum wird es da gehen?

Es geht um das große Themenfeld Familie, weil es oft Rassismus innerhalb der Familie gibt, von Mutter oder Vater direkt auf die Kinder. Oder die Geschwister. Auch wenn alle Schwarz sind, durch den Rassismus sind Bilder so verinnerlicht, ohne dass man etwas merkt oder denkt, es wäre etwas falsch daran. Und dann geht es auch um weißgelesene Schwarze, also um Schwarze Menschen, die sehr helle Haut haben. Hier passiert es, dass zum Beispiel die Elternschaft aberkannt wird, weil es für viele schwer vorstellbar ist, dass eine Schwarze Frau ein weißes Kind zur Welt bringt. Das sind sehr schmerzhafte Erfahrungen, die auch die Kinder mitbekommen. Das sind zwei große Schwerpunkte: Rassismus in Familien und weißgelesene Schwarze.

Gibt’s noch etwas, dass du gern sagen willst?

Vielleicht so als Appell oder auch Tipp: Was mir auffällt: Schwarze Menschen werden oft vergessen oder nicht mitgedacht. Das betrifft auch andere Personenkreise. Aber dass auch in alltäglichen Dingen dran gedacht wird. Gerade auch als Studierende, der*die sich fragt, was kann ich da jetzt machen? Allein, wenn man mal Schwarze Expert*innen (gerade auch Frauen) interviewt und versucht, nicht immer nur das Wissen von weißen Heteromännern zu reproduzieren, sondern in andere Richtungen zu schauen. Es gibt viele Dinge, wo man vielleicht einfach nur ein bisschen suchen muss. Wissen verfestigt sich, man gibt es weiter. Auch bei mir beim Fernsehen. Ich versuche, wenn es irgendwie geht auch Schwarze Menschen, POCs oder Menschen mit nicht „typisch deutschen“ Namen als Expert*innen oder Protagonist*innen in den Beiträgen unterzubringen. Dass es mehr und mehr zum Alltag und zur Norm wird. Daran können wir alle noch arbeiten.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!

*Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt und keine reelle‚ Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-Sein in diesem Kontext nicht, einer tatsächlichen oder angenommenen 'ethnischen Gruppe' zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der gemeinsamen Rassismuserfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.
(https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache)